Selbstreflexion
Dies wird möglich, indem Sie Ihre Rollen, Erfahrungen und Wertvorstellungen reflektieren, um sie nicht auf den Rehabilitanden zu projizieren.
Wenn Sie sich diese Zusammenhänge regelmäßig bewusst machen, tun Sie schon viel für die gebotene Neutralität und auch für Ihre Psychohygiene.
Als Anregung finden Sie im Folgenden einige Fragen zur Selbstreflexion.
- Wie geht es Ihnen in Ihrer Rolle als Behandler? (Fühlen Sie sich darin wohl? Klappt es gut? Kennen Sie Ihre Möglichkeiten?)
- Wie geht es Ihnen in Ihrer Rolle als Gutachter? (Fühlen Sie sich darin wohl? Klappt es gut? Kennen Sie Ihre Möglichkeiten?)
- Wem oder was fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit verpflichtet? (Dem Arbeitgeber, dem Rehabilitanden, der Rentenversicherung, eigenen Werten und Vorstellungen?) Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
- Welche Rolle spielen Leistung, Arbeit und Anstrengungsbereitschaft für Ihr eigenes Leben?
Finden Sie, andere Menschen sollten das ähnlich bewerten? - Was empfinden Sie persönlich als „gerecht“? Und warum?
Wie reagieren Sie selbst emotional auf empfundene Ungerechtigkeit? - An welche Voraussetzungen oder Eigenschaften ist Ihre Sympathie für Rehabilitanden geknüpft?
Versuchen Sie, an jedem Rehabilitanden etwas Positives zu finden - auch an „schwierigen“? - Ärgern Sie sich über Rehabilitanden mit Berentungswunsch? Falls ja, warum?
- Ärgern Sie sich über jammerndes oder forderndes Verhalten von Rehabilitanden? Falls ja, warum?
- Wie gehen Sie mit Verdeutlichungstendenzen um?
- Warum gehen Ihrer Meinung nach manche Rehabilitanden mit derselben Gesundheitsstörung arbeiten, andere werden damit berentet? Was unterscheidet diese Rehabilitanden Ihrer Meinung nach voneinander?
- Wie viel Einflussmöglichkeit oder Steuerungsfähigkeit sehen Sie bei den verschiedenen Gesundheitsstörungen seitens der Rehabilitanden?
- Wie viele Schmerzen oder wie viel Anstrengung sind Ihrer Meinung nach zumutbar?
Was begründet aus Ihrer Sicht „Zumutbarkeit“? - Oft vernachlässigt, jedoch nicht zu unterschätzen ist Ihre aktuelle Verfassung bzw. Tagesform:
Stehen Sie unter Druck? Gibt es Konflikte im Beruf oder privat? Oder sind Sie gerade besonders glücklich und heiter gestimmt?
Haben Sie sich heute schon über irgendetwas geärgert? Zum Beispiel über „schwierige“ Rehabilitanden?
Nicht damit alleine bleiben: Intervision, Supervision, Coaching, Beratung
Es ist sinnvoll, diesen Reflexionsprozess auch durch professionelle Kräfte zu unterstützen. Dafür eignen sich externe (!) Psychologen als Supervisoren, Berater oder Coachs. Sowohl Einzelgespräche als auch Beratung im Team können Impulse und Denkanstöße geben, um mit den Anforderungen souverän umzugehen.
Es ist hilfreich, wenn die Supervisoren Erfahrungen im Reha-Kontext haben, dies können z. B. Oberärzte oder Chefärzte aus (psychosomatischen) Reha-Abteilungen anderer Reha-Einrichtungen sein.
Kommunikation mit dem Rehabilitanden: Reden ist Silber, Zuhören ist Gold
Die Beziehung zum Rehabilitanden und dessen Kooperationsbereitschaft können unter anderem durch kommunikative Maßnahmen verbessert werden, beispielsweise durch
- Einfühlen in die Perspektive des Rehabilitanden, z. B. durch Erfragen seiner Erwartungen;
- ein gemeinsames Erarbeiten der Reha-Ziele;
- die Vermittlung von Wissen über die Erkrankung und deren Behandlung;
- die Vermittlung von sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen;
- klare, verständliche Kommunikation.
- WWSZ-Technik als allgemeine Kommunikationstechnik:
- Warten (ob der Rehabilitand von sich aus das Gespräch fortsetzt);
- Wiederholen (was der Rehabilitand gerade gesagt hat)
- Spiegeln (Rückmeldung geben)
- Zusammenfassen (der Äußerungen des Rehabilitanden in eigenen Worten)
- NURSE-Technik zum Umgang mit Emotionen im Gespräch:
- Name (Emotionen benennen und spiegeln)
- Understand (Verständnis äußern und warten)
- Respect (den Rehabilitanden für Anstrengungen loben, mit dem Problem umzugehen)
- Support (Unterstützung anbieten, wenn möglich)
- Explore (aktuelle Gefühle des Rehabilitanden explorieren)
- CALM-Technik zum Umgang mit fordernden und aggressiven Patienten/Rehabilitanden:
- Contact (mit dem Gegenüber ruhig und freundlich in Kontakt bleiben);
- Appoint (wahrgenommene Emotionen des Gegenübers verbalisieren und aushalten);
- Look ahead (auf der Meta-Ebene Spielregeln klären für die weitere Zusammenarbeit);
- Make a decision (Angebote machen: zur weiteren Zusammenarbeit, zu Alternativen, für Zeit zum Nachdenken).
Bei Hausteiner-Wiehle & Schaefert (2015) finden Sie außerdem weitere nützliche Tipps und Hinweise zu Gesprächsführungstechniken, u. a. zum aktiven Zuhören und zu Motivierender Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI). Es werden von verschiedenen Veranstaltern auch Fortbildungen zu diesem Thema angeboten, in deren Rahmen Sie einzelne Techniken einüben oder vertiefen können.
Trennung therapeutischer und gutachterlicher Aufgaben
Manche Autoren halten die Doppelrolle als Therapeut und Gutachter für schlecht vereinbar, denn die Leistungsbeurteilung bedarf einer
„über die therapeutische Distanz hinausgehende[n] Form der Neutralität“, die „mit der Rolle des Therapeuten oft nicht gut zu vereinbaren“ ist (Derra, 2016, S. 79).
Dies gilt insbesondere in der psychosomatischen Reha, da dort die therapeutische Beziehung für die Behandlung zentral ist.
Andere Autoren sehen die Rollen nicht als unvereinbar an, wenn das Rollenverständnis regelmäßig (auch im Team) reflektiert und transparent kommuniziert wird. Mit einer neutralen und empathischen Haltung könne damit auch in der Doppelrolle eine ausreichende gutachterliche Neutralität, Objektivität und Kooperationsbereitschaft des Rehabilitanden erreicht werden.
Stand 12/2018