Einfluss persönlicher Wertvorstellungen
Gerade bei schwierig zu beurteilenden Grenzfällen können Ihre persönlichen Einstellungen einen bedeutsamen Einfluss auf das Ergebnis der Leistungsbeurteilung haben.
Dies geht zu Lasten der Neutralität und Objektivität und stellt eine mögliche Fehlerquelle bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit dar.
Antwortverzerrungen
- Manche verfolgen trotz evtl. bestehender Leistungsfähigkeit andere Ziele als die erfolgreiche Rehabilitation oder Reintegration ins Erwerbsleben. Diese Rehabilitanden versuchen möglicherweise, Beschwerden zu übertreiben oder vorzutäuschen.
- Andere streben trotz fehlender Leistungsfähigkeit eine Rückkehr ins Erwerbsleben an und versuchen, ihre Beschwerden zu verharmlosen, um ihre Ziele zu erreichen.
Orthopädische Reha:
Herr K. hat ausgeprägte Kniegelenks-Arthosen beidseits mit erheblichen Folgestörungen trotz TEP bei OP-Komplikationen. Leistungen zur Teilhabe sind indiziert, der Versicherte möchte aber (aus finanziellen Gründen so lange wie möglich) weiter auf dem Bau als Maurer arbeiten. Er geht deshalb auch in der Reha über seine Grenzen hinaus und ist bemüht, seine Beschwerden möglichst wenig zu zeigen.
Eine Prüfung der Beschwerdedarstellung auf Konsistenz ist deshalb unverzichtbar.
Die Ungewissheit bezüglich der Motivlage des Rehabilitanden kann ungünstigen Einfluss auf Ihre Unvoreingenommenheit haben.
Die notwendige Konsistenzprüfung wiederum wirft das Problem der Vertrauenswürdigkeit aus Rehabilitandensicht auf: Er soll sich Ihnen ehrlich anvertrauen, weiß aber, dass diese Informationen auch – vermeintlich – „gegen ihn verwendet“ werden können. Zudem können divergente Einschätzungen der Leistungsfähigkeit zu Konflikten mit dem Rehabilitanden führen.
Aus diesem Grund ist es wichtig, mit diesem Thema zwar transparent, aber ausreichend feinfühlig umzugehen und die Motive des Rehabilitanden zu ergründen. Eine unauffällig ausgefallene Konsistenzprüfung kann dem Rehabilitanden aber auch Steine aus dem Weg räumen: Der Empfehlung des Gutachtens wird dann eher gefolgt und der formale Entscheidungsprozess so nicht unnötig verlängert.
Rollenkonflikt zwischen therapeutischer und gutachterlicher Grundhaltung
Durch diese Doppelrolle ergibt sich ein Dilemma: Sie müssen einerseits ein Vertrauensverhältnis zum Rehabilitanden aufbauen, andererseits aber auch (manchmal unliebsame) Entscheidungen treffen und kommunizieren. Dies kann bezeichnet werden als
„Spannungsfeld zwischen Empathie und therapeutischer Unterstützung einerseits und der kritischen Bewertung der Auswirkungen der Beschwerden des Rehabilitanden auf die berufliche Leistungsfähigkeit andererseits“ (Derra, 2016, S. 80).
Möglicherweise werden Sie aufgrund dessen vom Rehabilitanden als nicht vertrauenswürdig angesehen, was den Beziehungsaufbau und die Behandlung naturgemäß erschwert. Realisiert der Rehabilitand, dass Sie nicht uneingeschränkt auf seiner Seite stehen, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit negativer Antworttendenzen.
„Eine einseitig wohlwollend-empathische Haltung dürfte dabei ebenso wenig konstruktiv und zielführend für die Gestaltung des gutachterlichen Dialogs und die Entscheidungsfindung sein wie eine Haltung, die sich [ausschließlich] auf den Nachweis der noch verbliebenen Funktions- oder Leistungsfähigkeit beschränkt“ (Dohrenbusch, 2007, S. 29).
Verdeutlichen Sie dem Rehabilitanden, dass die Diagnose der Erkrankung bestehen bleibt, auch wenn er als leistungsfähig eingeschätzt wird. Es geht nicht darum, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen abzuwerten oder nicht ernst zu nehmen.
Stand 12/2018